- ein Beispiel für Arbeitsmigration aus Böhmen und Mähren

Neben italienisch-sprachigen Handwerkern spielten auch Arbeitsmigranten aus Böhmen und Mähren eine wichtige Rolle für die Mainzer Wirtschaft der frühen Neuzeit. Das frühneuzeitliche Königreich Böhmen, das von 1526 bis 1918 mit zwei kurzen Unterbrechungen von den Habsburgern regiert wurde, bildet mit der Region Mähren und einem Teil Schlesiens das heutige Staatsgebiet Tschechiens.

Die Produktivität und überregionale Vernetzung des Handwerks und der Manufakturen in Böhmen zeigte sich im 18. Jahrhundert im Rahmen zweier bedeutender Gewerbeschauen. Die Gewerbeschau, welche am 27. September 1791 eröffnete, wurde anlässlich eines Besuchs von Kaiser Leopold II veranstaltet. Diese Schau präsentierte den Stellenwert, den das Handwerk generell in Böhmen hatte, wobei hierbei besonders die Glas- und Wollproduktion hervorzuheben sind. Jedoch wurden auf dieser Messe auch Errungenschaften in Technik und Naturwissenschaften vorgestellt, womit sie als erste Industriemesse Europas gilt.

Unter den Handwerkern aus Böhmen und Mähren, die zumindest zeitweilig in Mainz arbeiteten, war der Gärtnergeselle Joseph Kaluscha, für den im März 1741 ein Lehrbrief ausgestellt wurde. Verfasst wurde der Brief von Paul Anton Schneider, bei dem Kaluscha vom ersten Juni 1740 bis zum 19. März 1741 in der Ausbildung stand. Paul Schneider arbeitete zu dieser Zeit als Hof-Gärtner des Mainzer Kurfüsten und war für die umfangreichen Gartenanlagen des Lustschloss Favorite zuständig, welches sich auf dem Gelände des heutigen Stadtparks befand.
Gesamtansicht der Favorite Mainz, Stich von Kleiner 1726

Kaluscha selbst wurde in Ungarisch Brodt, einer kleinen Stadt in Mähren, geboren und wird als "Erhlich, Erbahr, Kunstliebend und aufrichtig" beschrieben. Er hatte also eine lange Reise zwischen seinem Geburtort und der beschriebenen Arbeitsstelle hinter sich, was für Handwerkerlehrlinge und Gesellen der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich war. Ob er direkt nach Mainz kam oder anderweitig Station machte, geht aus den erhaltenen Quellen nicht hervor. Gerne hätte Gärtnermeister Schneider den Gesellen Kaluscha länger beschäftigt, doch dieser wünschte sich zu reisen, um seine handwerklichen Fähigkeiten auszubauen. Dem wollte Schneider nicht im Wege stehen, weswegen er Kaluscha einen Lehrbrief ausstellte, um zukünftige Arbeitgeber zu bitten, Kaluscha einzustellen, der eine Beschäftigung mit Dankbarkeit annehmen würde.

Das Stadtarchiv Mainz besitzt weitere Geburts- und Lehrbriefe mit Bezug zu Böhmen und Mähren aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert:

Einen Überblick über die frühneuzeitliche Geschichte des heutigen Tschechiens und seiner Verbindungen zum Heiligen Römischen Reich gibt der Beitrag "Tschechien: Entwicklung bis zum Ende der Monarchie" von Dieter Segert. Weiterführende Lektüre zur böhmischen und mährischen Arbeitsmigration: *Klaus Roth (Hrsg.), Vom Wandergesellen zum "Green Card"-Spezialisten: interkulturelle Aspekte der Arbeitsmigration im östlichen Mitteleuropa, Münster [u.a.]: Waxmann, 2003.*