- Beispiel für italienisch-sprachige Familien in Mainz

Mainz als kurfürstliche Residenzstadt war im 17. und 18. Jahrhundert ein beliebtes Einwanderungsziel von Personen aus dem Grenzgebiet des heutigen Italien und der Schweiz. Neben der Gegend um den Comer See wies insbesondere das Bergland nordwestlich des Lago Maggiore aufgrund von steigenden Bevölkerungszahlen, einer rückständigen Landwirtschaft sowie Mangel an Handel, Gewerbe und Industrie eine starke Emigrationsbewegung hauptsächlich von Männern auf. "Arbeitsintensiver Ackerbau und Viehzucht, zersplitterter Besitz und schlechte Pachtverhältnisse sowie allgemeine Verschuldung erschwerten einen Aufschwung. Aus diesen Gründen mußten einige Bewohner temporär oder für immer auswandern."[1]

Betroffen von dieser Auswanderungsbewegung nordwestlich des Lago Maggiore war auch das Onsernonetal, in dem Remigius Meletta am 31. Oktober 1658 im Ort Loco, der damaligen Hauptstadt der Gemeinde Onsernone, geboren wurde. Die im heutigen Schweizer Kanton Tessin liegende Gemeinde gehörte zum damaligen Zeitpunkt der Diözese Como an. Durch Hinweise des Centro studi “Nicolò Rusca”, des Archivio storico della Città di Lugano und des Archivio Diocesano Lugano konnte der im Geburtsbrief genannte Ort “Valle Lusarnonnensis” als lateinische Form der dialektalen Bezeichnung "Lüzernon" für das Onsernonetal identifiziert werden (siehe ortsnamen.ch).

Seinen Geburtsbrief ließ sich Remigius Meletta am 2. Januar 1696 in seiner Heimatgemeinde Loco ausstellen. Der Geburtsbrief bezeugt, dass der Empfänger der gültigen Ehe von Petrus Meletta und Johanna de la Chiesa entstammte und Spross einer "alteingesessen und allerehrwürdigsten Familie" (antiqvissimâ et honestissima prole familiaq[ue]) war. Zudem werden seine hervorragenden Charaktereigenschaften gelobt, verbunden mit der deutlichen Empfehlung, ihn in jede neue Gemeinschaft aufzunehmen:

qvinimo toto vitæ ejus decursu actionibus suis honestis, moribusq[ue] compositum semper extitisse [...] Cūm tamen ejus honestati vitaeq[ue] integritati sit [...] ad lucrum et victum honestis sudo-ribus ejus arte melius conqvirendum. Qvapropter [...] ad qvos hæ nostræ patentes devenerint enixè rogamus, [...] Remigium Melleta[m] omni humanitate, benevolentia, et charitate suscipere ac promovere, susceptumq[ue] sibi commendatum habere velint.

Tatsächlich war der gesamte Verlauf seines Lebens immer von seinen aufrichtigen Handlungen und guten Sitten geprägt. [...] Weil nämlich das Leben jenes [Mannes] ehrlich und integer ist [und er] Gewinn und Sicherung durch seine ehrliche Arbeit [wörtlich: mit ehrlichem Schweiß] anstatt durch Betrug suchte [...] bitten wir ernstlich jene, zu denen unsere Bestätigungen gelangen werden, [...] Remigius Meletta mit aller Menschlichkeit, Wohlwollen, und Nächstenliebe aufzunehmen und zu fördern, und ihm einen angenehmen Empfang bei sich bereiten zu wollen.

Während aus seinem Geburtsbrief keine näheren Informationen über seine berufliche Stellung in seiner Heimatregion hervorgehen, lässt sich den Familienblättern des Mainzer Stadtarchivs entnehmen, dass Remigius Meletta in Mainz zunächst als Schornsteinfeger und später als Kaufmann tätig war.[2] Schon vor der Ausstellung des Geburtsbriefs hatte er eine gewisse Jakobina geheiratet, die ebenfalls Italienerin war. Familiäre Spuren dieser italienischen Diaspora-Ehe in Mainz lassen sich mithilfe der Familienblätter bis ins späte 18. Jahrhundert nachweisen.

Aus der Zeit der Französischen Republik (1798–1804) und des Französischen Kaiserreichs (bis 1814) ist außerdem "Heinrich Meletta" als Mitarbeiter des Handelsgerichts des Regierungsbezirks Mainz (Arrondissement de Mayence) belegt. Franz Anton Meletta (1808-1865) war im Verlagswesen tätig. Innerhalb weniger Generationen stieg also diese Familie mit Migrationsgeschichte aus einer wirtschaftlich benachteiligten Region in der Mainzer Stadtgesellschaft in das wohlhabende Bürgertum auf.


[1] siehe Christiane Reves: Von Kaufleuten, Stuckateuren und Perückenmachern. Die Präsenz von Italienern in Mainz im 17. und 18. Jahrhundert, in: www.regionalgeschichte.net, URN: urn:nbn:de:0291-rzd-006468-20202212-6 (https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/reves-kaufleute-stuckateur-perueckenmacher-mainz-italiener.html)

[2] Bei den Familienblättern handelt es sich um biographische Listen, die das Stadtarchiv in den 1930er Jahren auf Grundlage der in Mainz erhaltenen Archivalien erstellt hatte. Diese Blätter geben Hinweise zu den Lebensdaten, Tauforten und Aufenthaltsorten einzelner Familienmitglieder.